Der Dorfkern war gerade in den letzten 150 Jahren weitreichenden Veränderungen unterworfen. Neben privaten Bautätigkeiten waren das:
Bau der Murgtalbahn um 1860
Straßenumbenennungen in der Nazizeit
Weitgehende Zerstörungen im 2. Weltkrieg und danach
Neuordnung von Grundstücksgrenzen
Anlage von Straßen
Neubauten
Anhand des heutigen Grundstücks der Wagnerei Krieg, Eisenbahnstr. 26, ist dies nachvollziehbar.
Zum Bau der Murgtaleisenbahn mitten durch den Ort erwarb die Murgtaleisenbahngesellschaft Grundstücke und verkaufte nach dem Bau die nicht benötigten Geländeanteile wieder an die Anrainer. Dabei ging wohl auch ein Teil des früheren Grundstücks mit der Haus-Nr. 230 (Ortsnummer ohne Straßennamen) verloren. Das Anwesen Eisenbahnstr. 26 war ein Hinterhaus dieser Nummer 230. Das Gelände dazu erstreckte sich bis zum “Kirchgässle” (Kirchstraße).
Am 10.09.1944 wurde der Ortskern von Rotenfels beim Bombardement der Mercedes-Werke in Gaggenau weitgehend zerstört, weil nicht nur das Werk als rüstungserheblicher Faktor selbst, sondern auch die dazugehörige Infrastruktur, wie z.B. die Transportwege, beim Einflug der Bomber von der Rheinebene her ins Murgtal zerstört wurden.
Das folgende Foto zeigt das Grundstück Eisenbahnstr. 26 im Jahr 1953. Die Umgebung ist noch vom Bombardement geprägt, die Einquartierungssituation für die ausgebombte Familie Krieg, die sich gerade um die ersten beiden Kinder vergrößert hatte, wurde aber durch einen Neubau des Wohnhauses beendet. Damit das alles auch möglichst schnell vonstatten gehen konnte – obwohl fast ohne finanzielle Mittel mit viel Eigenanteil gebaut wurde – zog die junge Familie in den unverputzten Rohbau ein. Das Trümmergrundstück zweier Wohnensembles mit Stall und Scheuer mitten im Ort war so groß, dass sogar Schafe darauf weideten, weshalb auf der Fläche ein Schäferkarren stand.
Das Foto ist wohl am späten Vormittag eines Sonntags im Frühjahr 1953 entstanden – aus dem Giebelfenster des Anwesens Fuhrmann-Riedinger, heute Rathausstr. 16. Die Fensterläden der Werkstatt sind zu und Frau Anna Krieg steht in Sonntagskleidung auf dem Balkon.
Für die nähere Betrachtung habe ich das Foto mit Zahlen markiert:
1 + 2
Die Grundstücke Rathausstr. 19 und 23 waren zerbombt. Das Doppelwohnhaus mit der alten Dorfnummer 230 erstreckte sich von der Rathausstraße auf der Fläche der 1 und des Schäferkarrens bis nahe an die Werkstatt.
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Das große Hofensemble Rathausstr. 13, 15 (Buchs) und 17 (Enz) war in seiner rechten Begrenzung auch hinter dem Wohn- und Geschäftsgebäude Enz mit dem Wohngebäude Jörger bebaut. Dieser Teil wurde abgerissen.
4
Die frühere Garage beim Wohnhaus des Autohaus Buchs (Geschäftsgelände an der Rathausstraße gegenüber) wurde zu Wohnzwecken umgebaut und steht heute noch.
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Schuppen des großen Anwesens an der Kirchstraße, das zusammen mit der Nummer 8, dem dazu gehörenden Wohngebäude, inzwischen ebenfalls abgerissen wurde und mit den Häusern Kirchstr. 4 und 6 neu bebaut wurde. Die frühere Durchfahrt zum Hofensemble Enz-Buchs in der Rathausstraße wurde geschlossen. Diese bildete damals die einzige Zufahrt. Zur Kirchstraße hin gab es nur eine Haustür und ein kleines Gartentor.
6
Das 1950/51 erstellte Wohgebäude der Familie Heinrich und Anna Krieg, Eisenbahnstr. 26.
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An dieser Stelle wurde das Wohngebäude 1970 in seiner Größe verdoppelt.
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Siehe 5
9
Das Wohngebäude Kirchstr. 8 steht heute noch und ist damit eines der wenigen erhaltenen Häuser in der Umgebung.
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Das große Wohngebäude Glaser-Riedinger in der Kirchstraße wurde zusammen mit dem Werkstattgebäude der Glaserei ebenfalls abgerissen und es entstanden die neuen Wohngebäude Kirchstr. 7 und die beiden dahinter liegenden. In diesem großen Gebäude waren die Eheleute Krieg nach dem Bombardement einquartiert. Hier heirateten sie am 18.08.1946 und es wurden die beiden ersten Kinder geboren – Franzjörg Januar 1948 und Eva Dezember 1949. Das Hochzeitsfoto entstand auf der Treppe des alten Wohngebäudes.
Die Wohnung in der Kirchstraße im dritten Stock lag günstig: Das gesamte Grundstück, auf der die Werkstatt stand, war noch bis zur Kirchstraße unbebaut und gehörte zum Anwesen Krieg. Der “Hühnergarten” war mit Obstbäumen bestanden, beinhaltete ein Holzlager, einen großen Steinhaufen mit Trümmersteinen aus dem zerbombten alten Haus und eine Bienenhütte. Zur Kirchstraße hin gab es ein “Gardedörle”, sodass vom Wohnhaus zur Werkstatt eigentlich nur schräg “s’Kirchgässle” gequert werden musste.
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Das einzelstehende Wagnereigebäude aus dem Jahr 1898 überstand den Brand und ist heute noch weitgehend original erhalten.
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Das ehemalige Wohnhaus Rieger wurde ebenfalls abgerissen und neu erbaut. Es hat die Hausnummer 10 in der Kirchstraße.
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Das solide Eckhaus Kirchgässle/Bahnhofsgässle Eisenbahnstr. 22 ist ebenfalls alter Baubestand und damit eines der wenigen Häuser, die zwei (knappe?) Jahrhundertwenden überlebt haben.
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Dort war unser Hühnergarten. Mein Vater verkaufte den Teil davon, der die hintere Grenze der anderen Grundstücke an der Kirchstraße zu unserer Seite überragte und machte damit einen weiteren Bauplatz für ein Eckhaus frei – die heutige Eisenbahnstr. 24 und 24a. Auf dem Foto ist der Steinhaufen aus den Trümmern des alten Wohn- und Ökonomiegebäudes zu sehen. Die Steine wurden aus dem Trümmerschutt aussortiert und hinter die Werkstatt transportiert.
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Das Backhäuschen überlebte ebenfalls das Bombardement, wurde noch in den 50er Jahren von meiner Mutter benutzt und funktioniert heute noch.
Meine Oma Rosa Krieg in den frühen 40er Jahren beim Brotbacken.
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Hier verläuft seit den späten 50er Jahren die Bahnhofstraße, nach der Eingemeindung in Eisenbahnstraße umbenannt, weil es in Gaggenau schon eine Bahnhofstraße gab. Das Machtgefälle bestimmte wohl, welche umbenannt werden musste.
Aufnahme – evtl. aus dem Giebelfenster des Hauses Eichelbergstr. 2 – über die Trümmergrundstücke Hindenburgstr. 4 (Sandhaas) und Grundstück der Wagnerei Krieg. Aufnahmedatum evtl. an einem sonnigen Sonntagmorgen im späten Frühjahr 1945.
Ausschnitt Grundstück KRIEG
1 Rathaus
2 Anwesen Jörger – abgerissen
3 Rathausstraße 13 – renoviert
4 Rathausstraße 15, Buchs, renoviert
5 Werkstattgebäude der Wagnerei Krieg
6 Trümmer des am 10.09.1944 zerbombten Wohn- und Ökonomiegebäudes Krieg
7 Durchgehender Zaun als Grundstücksgrenze entlang der Bahnlinie zwischen den beiden Bahnübergängen Rathausstr. und Kirchstr. aus großen Sandsteinquadern mit Lattenzaunfeldern.
8 Bienenhütte
9 Holzvorräte
10 Steine, aussortiert aus dem Brandschutt, 1951 verwendet für das Fundament des neuen Wohnhauses hinter der Werkstatt.
(Download aus google maps am 25.06.2024)
Die gelbe durchgehende Linie zeigt die heutigen Grundstücksgrenzen des Anwesens KRIEG, Eisenbahnstr. 26.
Die gestrichelte gelbe Linie zeigt den bis in die 60er Jahre dazugehörenden Grundstücksanteil, der verkauft wurde.
Aufbauarbeit nach dem Krieg
Das Foto vom September-Oktober 1954 zeigt die Beseitigung der letzten Kriegsschäden und die Neuordnung.
Da, wo meine Eltern graben, ist heute noch der damals angelegte Vorgarten.
Rechts hinten das Eckhaus Rathausstr./Hindenburgstr., Schäfer-Krieg, (in Fachwerk-Bauweise), das nach einem Brand abgerissen werden musste. Die Fläche ist heute unbebaut.
Ganz rechts davor sieht man noch eine Ecke des Bahnwärterhäuschens, das dort einst stand.
Sowohl unser Backhäuschen als auch das hinter der Bahn stehende Haus Laub haben die schwierigen Zeiten überlebt.
Unser langes Grundstück wurde bis zur Kirchstraße gegen die Bahn von einem Zaun begrenzt, der aus schweren Sandsteinpfosten und darin eingehängten Holzzaunfeldern bestand.
Die Bahnhofstraße gab es in diesem Bereich noch nicht.
Die Auffüllung mit Steinen und Schuttmaterial sorgte dafür, dass dieser gesamte Bereich sich um etwa 30 cm erhöhte. Referenz dafür ist der Werkstatteingang, der inzwischen über eine Stufe abwärts betreten werden muss.
Und natürlich:
Alles war Handarbeit. Schon der Aushub für das Wohnhaus, dessen Keller komplett unter der Erde liegt, wurde 1950 von Hand bewältigt, was dadurch bestimmt wurde, dass dieser Bereich im Sandbett (mit Geröllen!) der Ur-Murg liegt. Schade ist, dass der damals in 2 Metern Tiefe ausgegrabene Baumstamm nicht dentrochronologisch untersucht wurde.
Ohne eine Selbstversorgerbasis in der Landwirtschaft und im eigenen Garten wäre es damals nicht möglich gewesen, den Aufbau nach dem Krieg leisten zu können. Das Problem war nur, dass Stall und Scheuer abgebrannt waren. Die Kühe waren daher in einem Stall bei Bier-Schmitt untergebracht. Hier ist mein Vater mit Gretel und Mohrle, angespannt vor einem Fahrgestell eines Feldwagens, vor dem neuen Haus auf dem davor liegenden Trümmergrundstück.
1952 oder 1953 gab es in Gaggenau ein “Seifenkisten-Rennen”, für das die ansteigende Konrad-Adenauer-Straße bestens geeignet war. Die “Seifenkisten” waren willkommene Werbeträger im boomenden Geschäft der 50er Jahre. Mein Vater erhielt damals den Auftrag, vier dieser Gefährte zu bauen.
Meine Schwester Eva und ich in zwei der vier “Seifenkisten”
Die gesamte Flotte mit ihren jungen Fahrern – wohl auch wieder an einem Sonntag aufgenommen – die Fensterläden der Werkstatt sind zu